Qualitätsmanagement an der Charité – eine Erfolgsstory

Am 9. August 2018 führte GUTcert-Mitarbeiterin Hela Lange ein Interview mit Priv.-Doz. Dr. med. Anne Berghöfer zum erfolgreichen Qualitätsmanagement der Charité Berlin

Vor mehr als einem Jahrzehnt erhielt das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie Charité-Universitätsmedizin Berlin sein erstes ISO 9001 Zertifikat. Seitdem ist das Institut mit einem beispielhaften Qualitätsmanagement (QMS) nach DIN EN ISO 9001 durch die GUTcert zertifiziert.

Frau Priv.-Doz. Dr. Berghöfer

Frau Priv.-Doz. Dr. Berghöfer studierte von 1983 bis 1989 Humanmedizin an der Freien Universität Berlin. Nach ihrer klinischen Tätigkeit in der Psychiatrischen Klinik der Freien Universität ist sie seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin und in leitender Position für Personalfragen, Öffentlichkeitsarbeit, Qualitätsmanagement und die Lehrkoordination im Institut zuständig. Im Interview berichtet sie über Chancen, Stakeholder und das Wissensmanagement im Rahmen des QMS.

Lange: Herzlichen Dank, dass Sie heute mit uns über Ihr QMS sprechen. Seit wann ist Ihr Unternehmen denn nach ISO 9001 zertifiziert?

Dr. Berghöfer: Wir sind schon seit 2005 zertifiziert und von Anfang an auch bei der GUTcert: Mit unserem Auditor Herrn Andreas Lemke und seiner Arbeit sind wir hoch zufrieden.

Lange: Welche Motive gaben bei der Charité den Ausschlag, ein QMS einzuführen und dann auch zertifizieren zu lassen?

Dr. Berghöfer: Unser Kerngeschäft besteht aus epidemiologischen Forschungsprojekten, d.h. Forschungsprojekte, die meistens sehr viele Probanden oder Patienten beinhalten. Dies wiederum macht die Prozesse des Datenmanagements, der Datenerhebung, Verarbeitung und Analyse sehr aufwändig und komplex. Daher wurde zunehmend von den Mitarbeitern gewünscht, Prozesse zu standardisieren und uns innerhalb des Instituts auf gemeinsame Vorgehensweisen zu einigen. Das führte letztlich dazu, dass diese Mitarbeiter Standardverfahrensanweisungen entwickelten und so ein QMS von unten aufgebaut haben. Später kam dann die Idee, das ganze System nach der ISO 9001 auszurichten. Und wenn wir uns die ganze Mühe schon einmal gemacht haben, dann sollten wir unser System auch zertifizieren lassen. Es gab damals erste Fortbildungen für die einzelnen Einrichtungen innerhalb der Charite, und ich war eine der ersten, die diese Angebote wahrgenommen hat. Das führte dazu, dass wir mit anderen Einrichtungen der Charite, die vergleichbare Pläne hatten, in Kontakt traten und uns – auch Dank des QMS – gegenseitig unterstützen konnten.

Lange: Gibt es organisatorische Erfolge durch den prozessorientierteren Ansatz?

Dr. Berghöfer: Auf jeden Fall. Wir haben durch die zunehmende Standardisierung der Prozesse in den großen Projekten und dadurch, dass nicht mehr jeder in seinem Büro „das Rad neu erfindet“ enorm Ressourcen gespart – die dann natürlich der Weiterentwicklung von Projekten oder schlichtweg der Qualität zu Gute kamen. Und durch die Zertifizierung sind wir ein attraktiver Kooperationspartner für die anderen geworden.

Lange: Die ISO 9001 durchlief ja eine Revision. Die Grundstruktur aller neuen und revidierten ISO Normen ist seit dem Jahr 2012 die sog. High Level Structure (HLS). Sie soll dazu dienen, dass sich Unternehmen im Rahmen von Managementsystemen mehr mit dem eigenen Kontext beschäftigen und daraus Risiken und Chancen fundiert ableiten, um dementsprechend ihre Aktivitäten zu planen. Eine Umfrage von uns hat allerdings ergeben, dass sich einige Unternehmen schwer damit getan haben, Chancen zu finden. War das bei Ihnen auch so?  

Dr. Berghöfer: Das kann ich eigentlich nicht sagen. Aufgrund unserer Forschungstätigkeiten haben wir uns im Grunde genommen immer überlegen müssen, wo Chancen für unsere Einrichtung sind, wer Interesse an unserer Arbeit hat, was wir tun müssen, welche Marktlücken es gibt und wo man uns vielleicht haben will.  Das mussten wir immer tun und daher war für uns keine Herausforderung. Was uns die Revision neu gebracht hat, ist, dass wir nun alles systematischer dokumentieren.  

Lange: Was genau tun Sie, um Chancen zu identifizieren? Haben Sie Beispiele?

Dr. Berghöfer: Wir haben hier die so genannte Leitungsrunde, ein Gremium, das sich wöchentlich trifft. Diese Runde hat eine erweiterte Leitungsrunde, die wiederum monatlich tagt. Deren Aufgabe war immer schon, auch mal ein bisschen strategischer zu denken und ein mehr nach außen zu gucken. Dieses Gremium wird vorrangig genutzt, um zu diskutieren, wo Chancen liegen könnten.
Eine weitere Möglichkeit zur Identifikation von Chancen ist, dass wir in unserem Fachgebiet ständig Kongresse besuchen. Dort kann man natürlich ebenfalls mitnehmen, welche neuen Entwicklungen es im Fachgebiet gibt, wo Chancen entstehen, wohin der Trend geht, was im Moment im Forschungssektor interessant, neu oder innovativ ist und wo wir hinpassen könnten. Und dieses gesammelte Wissen der Mitarbeiter wird als Input genutzt und wiederum in der Leitungsrunde diskutiert.

Lange: Konnten Sie denn einige Chancen schon in Projekte umwandeln und gab es in Ihrer Branche eventuell sogar die Möglichkeit, Ihr zertifiziertes QMS als Wettbewerbsvorteil nach außen zu kommunizieren?

Dr. Berghöfer: Ja! Ein Thema aus jüngerer Zeit ist ja, dass dem Gesundheitswesen mit dem sogenannten Innovationsfond sehr umfangreiche Geldmittel zur Verfügung gestellt worden sind. Da haben wir für uns die Möglichkeit erkannt, dass wir aufgrund unserer Erfahrungen im Bereich Datenmanagement und Datenanalysen dazu prädestiniert sind, in diesen Innovationsfondprojekten, die überall in Deutschland im großen Stil laufen, eine wichtige Rolle einzunehmen. Wir sind also die Datenmanager, wir sind die Auswerter – das können wir gut. Das wiederum hat auch dazu geführt, dass wir uns an vielen Innovationsfondprojekten als Kooperationspartner beteiligt haben. Ein entscheidender Faktor war hier sicher auch unsere Reputation als zertifizierte Einrichtung. Gerade, weil es sich bei den Tätigkeiten zur Datenverarbeitung und Analyse um öffentlich sehr präsente Projekte handelt, die auch mit öffentlichen Geldern finanziert werden, war die externe Zertifizierung auch für den Geldgeber immer sehr vertrauenerweckend. Das haben wir als Chance erkannt und sind seither in diesem Bereich so erfolgreich geworden, dass die Tätigkeit inzwischen einen sehr großen Teil unserer Arbeit ausmacht.

Lange: Geldgeber sind sicherlich ein wichtiger Stakeholder für Sie. Einer der Schwerpunkte der ISO 9001 ist eine Stakeholderanalyse. Wer sind die wichtigen interessierten Gruppen für Ihr Unternehmen?

Dr. Berghöfer: Der allerwichtigste Stakeholder ist, wie eben erwähnt, die Gruppe der Drittmittelgeldgeber, also die Geldgeber für Forschungsprojekte. Diese müssen sehen, dass wir gute Arbeit leisten, dass sie sich auf uns verlassen können und dass wir „in time“ arbeiten, die Projekte termingerecht abschließen. Eine zweite sehr wichtige Gruppe sind daneben die Kooperationspartner. In der Forschung gibt es heute kaum noch Projekte, in denen einer alleine alles abarbeitet: Heute sind das überwiegend Kooperationsprojekte. Die Projektpartner müssen dabei natürlich auch sicher sein können, dass sie in uns zuverlässige Partner haben, die fehlerfrei arbeiten und gute Qualität abliefern.

Lange: Wie fördern Sie den Stakeholder Value?

Dr. Berghöfer: Ein wichtiger Punkt ist tatsächlich, das Gelingen unserer Ergebnisse und das Gelingen unserer Kooperationen nach außen zu kommunizieren. Da müssen wir immer die Balance halten. Außerdem ist es in unserem Bereich entscheidend, dass wir in internationalen wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizieren. Die Tatsache, dass uns das gelingt, ist natürlich auch immer schon sehr viel Reputation für potentielle Drittmittelgeldgeber und Kooperationspartner. Auf Deutsch gesagt: „aha, die schreiben hochrangige Publikationen, dann sind das mit Sicherheit gute Kooperationspartner“. Auf diese Weise machen wir uns einen guten Namen und sind attraktiv für weitere potentielle Forschungsmittelgeber oder Kooperationspartner.

Lange: Auch Mitarbeiter sind Stakeholder und spielen bekanntermaßen eine essenzielle Rolle bei der Umsetzung und Weiterentwicklung eines QMS: Sie erwähnten ja zu Beginn, dass Ihr QMS von den Mitarbeitern initiiert wurde. Sind Bekanntheitsgrad und Akzeptanz des QMS bei Ihren Mitarbeitern also besonders hoch?

Dr. Berghöfer: Also der Bekanntheitsgrad des QMS ist unter unseren Mitarbeitern 100%. Das hat damit zu tun, dass die Einführung in das QMS Bestandteil der Einarbeitung innerhalb des Instituts ist. Das heißt, jeder, der als neuer Kollege am Institut beginnt, wird bereits ab dem ersten Tag mit dem System vertraut gemacht. Ihm wird gezeigt, wie man an Informationen kommt und wie Arbeitsaufgaben in Arbeitsabläufe eingebunden werden. Daher haben wir auch eine 100%ige Durchdringung. Hier zu arbeiten, ohne mit dem QMS vertraut zu sein, geht gar nicht.
Auch die Akzeptanz ist wirklich sehr hoch. Ganz einfach, weil die Mitarbeiter von den standardisierten Prozessen enorm profitieren. Es gibt fast nichts, was man komplett neu entwickeln oder erfinden muss. SOP’s (Standard Operating Procedures/Standardvorgehensweisen) gab es bei uns schon immer. Für bestimmte Belange müssen diese vielleicht einmal angepasst werden. Aber an sich ist die Arbeitserleichterung für alle hier ganz enorm. Und zwar nicht nur im Kerngeschäft Forschung, sondern auch in unserem zweiten Handlungsfeld, dem Studentenunterricht. Da läuft es im Grunde genauso.

Lange: Lassen Sie uns bei Ihren Mitarbeitern bleiben. Ein weiter wichtiger Punkt in der ISO 9001 ist das Wissensmanagement. Besonders der Verlust von Wissen kann für Unternehmen zu einem Problem werden. Waren Sie mit dem Problem schon mal konfrontiert? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?

Dr. Berghöfer: Ja, das waren wir! Gerade in den ersten Jahren vor der Zertifizierung waren wir immer wieder mit der Problematik konfrontiert, wenn insbesondere ältere Mitarbeiter oder Kollegen mit sehr umfangreichen Arbeitsgebieten das Haus verließen. Wir hatten dann das Problem, dass ihr Wissen großenteils verloren ging. Das haben wir aber in späteren Jahren in der Weiterentwicklung des QMS mit aufgenommen.

Lange: Wie verhindern Sie den Wissensverlust?

Dr. Berghöfer: Insbesondere, indem wir etwa die Ablage und Archivierung von fertigen Projekten und Arbeitsbereichen deutlich verfeinert haben. So weiß jeder, wo er standardisierte Vorgehensweisen nachlesen kann und wo er Informationen findet, um eventuell auftretende Fragen zu beantworten – auch wenn der bearbeitende Mitarbeiter längst nicht mehr im Unternehmen ist oder nicht mehr an dem Projekt arbeitet. Des Weiteren haben wir in den letzten Jahren eine Art Verabschiedungssystem entwickelt. Dabei wird im Rahmen eines standardisierten Vorgehens geklärt, welches Wissen der Mitarbeiter hat, der das Institut verlässt, und was an wen in welchem Umfang übergeben werden muss. Dies hilft uns, nichts zu vergessen, was der Kollege möglicherweise mitnimmt und was für uns dann verloren ist. Dieses Vorgehen haben wir in den letzten Jahren perfektioniert.

Lange: Das ist eine  beeindruckende Erfolgsstory! Sie führen seit Jahren ein gut etabliertes QMS und konnten dadurch auch nachhaltige Erfolge feiern. Ich denke, dass andere Unternehmen von Ihnen viel lernen können. Vielen Dank für Ihre Zeit und weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Qualitätsmanagement.

Ansprechpartnerin im Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité – Universitätsmedizin Berlin:
Priv.-Doz. Dr. med. Anne Berghöfer
Referentin, Ärztliches Qualitätsmanagement, Lehrkoordinatorin
Tel: +49 30 450 529 034

Fragen zum Interview beantwortet Ihnen gerne Frau Hela Lange +49 30 2332021-88

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