Kommunale Überzeugungstäter: Das Energiemanagement im Kreis Viersen

Strukturiertes Energiemanagement hilft auch Kommunen, sich zu verbessern und weiter zu entwickeln – und nicht zuletzt, Geld zu sparen!

Seit diesem Jahr gilt die neue Kommunalrichtlinie, die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten im kommunalen Umfeld“. Mit den dort veröffentlichten Neuerungen können Kommunen und kommunennahe Unternehmen für den Aufbau, den Betrieb und die Erstzertifizierung ihres Energie- oder Umweltmanagements Fördergelder erhalten.

Bruno Wesch (2.v.l.) & Niklas Vath (Mitte) auf dem GUTcert Exzellenznetzwerk Energie 2017

Der Kreis Viersen hat diesen Schritt bereits im Jahr 2017 gewagt, als an diese Förderung noch nicht zu denken war. Schon vier Jahre zuvor waren die Stadt und der Kreis Viersen sowie angeschlossene Gemeinden eine Verpflichtung hinsichtlich des Klimaschutzes eingegangen. Ein integrierter Klimaschutzplan wurde aufgestellt, der weitreichend energetische Maßnahmen für Schnittstellenakteure der Verwaltungen vorsieht. Der Ansatz wurde systematisch und kontinuierlich zum Energiemanagement nach ISO 50001 vorangetrieben, sodass der Kreis Viersen dieses Jahr schon zum dritten Mal dem Auditor der GUTcert die Türen öffnet.

Sarah Stenzel, Projekt-koordinatorin für Management-systeme

Das Interview bestreiten Niklas Vath und Bruno Wesch vom Gebäude- und Energiemanagement des Kreis Viersen zusammen mit Sarah Stenzel, Projektkoordinatorin für Managementsysteme von (kommunalen) Dienstleistern. Niklas Vath und Bruno Wesch haben zusammen mit der Unterstützung der Schlüsselakteure erfolgreich das kommunale Energiemanagement nach ISO 50001 aufgebaut und halten es seither sehr ambitioniert am Laufen.

Stenzel: Herr Vath, Herr Wesch, Sie sind mit dem Kreis Viersen Vorreiter im Bereich des Kommunalen Energiemanagements. Was war der Anreiz für die Zertifizierung des Energiemanagementsystems im Kreis Viersen? Wer hat den ersten Schritt initiiert?

Vath: Wir haben in 2014 mit dem Aufbau eines kommunalen Energiemanagements begonnen. Aufgrund der Erfahrungen von Herrn Wesch und meiner eigenen Bachelorarbeit haben wir uns bereits zu Beginn in Richtung ISO 50001 orientiert. Und durch die Zertifizierung ist die Verpflichtung entstanden, das System und die Prozesse fortlaufend zu überprüfen und zu verbessern. Zusätzlich unterstützt unsere Verwaltungsführung (bzw. der Landrat) den Aufbau und die Weiterentwicklung des Energiemanagements. Das  hilft u.a. bei der Maßnahmenplanung und Budgetierung.

Stenzel: Für Ihre nächsten Energieeinsparmaßnahmen ist Ihnen der politische Rückenwind also schon gegeben. Wie sah es aber am Anfang aus? Warum entschlossen Sie sich zu einer Systematisierung Ihrer Energiedaten und -verbräuche? Gab es bereits eine umfangreiche Energiedatensammlung oder war die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt eher ambitioniert?  

Vath: Die Entscheidung, Energiedaten zu systematisieren, ist für ein dauerhaftes Energiemanagement unerlässlich. Es gab anfangs nur vereinzelt Daten aus Plänen oder Aufzeichnungen. Der Großteil der Daten, insbesondere zu den Hauptverbrauchern, wurde sukzessive erfasst und berechnet. Diese Daten sind heute unerlässliche Grundlage, um Maßnahmen zu planen und eine automatische Energiedatenerfassung weiter zu entwickeln.

Stenzel: Die neue Revision der ISO 50001:2018 fordert eine Stakeholder-Analyse. Sie haben bereits weit vorher ambitioniert angefangen, die Öffentlichkeit in den Klimaschutzplan und das Energiemanagement einzubinden. Wie war bisher die Resonanz?

Vath: Der Kreis Viersen hat seit 2013 ein Klimaschutzkonzept, in dem auch mehrere Maßnahmen aus dem Energiemanagement enthalten sind. Die Öffentlichkeit wird fortlaufend über Verbesserungen und Aktionen im Bereich Nachhaltigkeit und Energie informiert. Jährlich stellen wir den Energiebericht und die Zielerreichung auch den kommunalpolitischen Entscheidungsträgern auf Kreisebene vor.

Wesch: Wir sind inzwischen soweit, dass die politischen Ebenen uns Rückenwind geben. Die Weiterentwicklung  des Energiemanagementsystems hat offensichtliche, nicht zuletzt monetäre Effekte erzielt. Das gefällt auch den politischen Ebenen, sodass wir weitreichende Unterstützung durch unseren Landrat erhalten.

Stenzel: Ich denke, diese Unterstützung und der Rückhalt aus der Politik ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Funktionieren des Energiemanagementsystems für Organisationen im öffentlichen Betätigungsfeld.
Die ISO 50001 hat in der Vergangenheit schon vielfach bewiesen, dass sie das ideale Instrument für mehr Energieeffizienz und damit auch für Klimaschutzverbesserungen ist. Deutschland ist im Ländervergleich der EnMS nach ISO 50001 Weltmeister mit mehr als 8.300 der fast 22.900 ausgestellten Zertifikate . Deren Großteil wird allerdings vom produzierenden Gewerbe gehalten – Kommunale Unternehmen sind eher weniger vertreten. Wieso sind Ihre Kollegen in den Kommunen bei der Einführung eines EnMS so zurückhaltend?

Vath: Viele Kommunen haben ein Energiemanagement aufgebaut, aber nicht in Richtung Zertifizierung oder ISO 50001 gedacht. Scheinbar hat jede Kommune ihre eigenen Strukturen aufgebaut. Normen und Zertifizierung schrecken wahrscheinlich schon aus der Begrifflichkeit viele Kommunen ab. Managementsysteme sind ja komplex, aber gerade Kommunen haben beim Aufbau keine konkrete Zeitvorgabe und können ohne Druck ein System aufbauen. Wir haben vom Beschluss zur Einführung bis zur Zertifizierung  zwei Jahre gebraucht. Wichtig ist die Unterstützung durch eine externe Beratung, der schon Erfahrungen mit der ISO 50001 gesammelt hat und den Prozess begleiten kann.

Wesch: Häufig scheitert es auch am Fehlen eines „Machers“, der seinen Weg geht, sich dem häufig zähen politischen Prozess stellt und dabei engagiert bleibt und Durchhaltevermögen zeigt. Ein wesentlicher Punkt ist aber auch die Unterstützung seitens des Landrats.

Stenzel: Was hat bei Ihnen den Ausschlag gegeben, dass der Aufbau und die Zertifizierung des Systems dann doch funktioniert haben?

Vath: Das war die Entscheidung zur Zertifizierung und die Terminierung des Audits. Dadurch bekamen wir die Verpflichtung, bis März 2017 ein ISO 50001-reifes EnMS fertigzustellen.

Stenzel: Und so kam es dann ja auch: Ende März 2017 war unser Auditor bei Ihnen. Als Zertifizierungsgesellschaft haben wir den Anspruch, nicht nur zu erkennen, ob die Anforderungen an das EnMS umgesetzt werden, sondern auch Verbesserungsvorschläge zu Effektivität und Effizienz zu liefern. Wie haben Sie unseren Auditor in dieser Rolle wahrgenommen und wie empfinden Sie die Zertifizierung?

Vath: Ihr Auditor konnte im Audit zur Zertifizierung und zur Überprüfung eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen geben, die im Nachgang auch wesentlich zur Verbesserung des Systems beigetragen haben. Wir haben u.a. eine Verschlankung der Dokumente erreicht und können Ziele besser formulieren.

Stenzel: Nun ist Anfang des Jahres die neue Kommunalrichtlinie ist Kraft getreten, die es Kommunen und kommunennahen Unternehmen ermöglicht, u.a. eine Förderung für die Erstzertifizierung des Energie- oder Umweltmanagementsystems zu erhalten. Von diesem Teil der Förderung können Sie ja nun leider nicht mehr profitieren.
Wie beurteilen Sie rückblickend den Förderschwerpunkt für das Einführen eines kommunalen Energiemanagementsystems? Sind die förderfähigen Sach- und Personalausgaben  umfänglich und sinnvoll und hätten Ihnen diese maßgeblich geholfen, das EnMS einzuführen?"

Vath: Dieser neue Förderschwerpunkt ist ein ganz wichtiger Baustein, Kommunen zum strukturierten Energiemanagement zu verhelfen und zu motivieren. Ich persönlich habe diesen Förderschwerpunkt in den letzten Jahren vermisst, da gerade die finanzielle und personelle Ausstattung auf kommunaler Ebene sehr knapp bemessen ist. Dadurch scheuen viele Akteure das Einführen eines EnMS. Die förderfähigen Ausgaben knüpfen genau an diese Hemmnisse an. Schon mit wenigen Workshops durch eine externe Beratung lassen sich wichtige Grundlagen schaffen. Eine finanzielle Unterstützung vom Bund hilft natürlich jeder Kommune. Beim Kreis Viersen haben wir das EnMS aber auch ohne große Unterstützung und mit voller Überzeugung stemmen können. Wichtig ist nun, den Inhalt für diesen Förderschwerpunkt deutschlandweit in die Kommunen zu tragen und zu bewerben.

Stenzel: Würden Sie mit dem Wissen der letzten zwei Jahre den Schritt zum systematischen Energiemanagement wieder gehen? Was hat Ihnen die Zertifizierung unterm Strich gebracht (auch monetär)?

Vath: Ja, das würden wir tun. Denn das systematische Energiemanagement nach ISO 50001 lässt sich auch mit anderen zertifizierten Organisationen vergleichen und ermöglicht einen Wissenstransfer. Auch für die eigene Organisation wird das Wissen systematisch gebündelt und ermöglicht anderen Personen einen guten Einstieg.
Die Zertifizierung hat eine strategische und operative Planung vorangetrieben, sodass weitere wesentliche Effizienzverbesserungen erreicht wurden. Durch die ausführlichen Energiedaten können wir Einsparungen nun besser beziffern. Im Jahr 2017 konnten ca. 170.000 € Energiekosten eingespart werden. Ein Großteil davon wurde durch das systematische EnMS erreicht.

Wesch: Aktuell sieht es so aus, als könnten wir unsere gesetzten Ziele nicht nur einhalten, sondern diese sogar überschreiten. Angefangen haben wir mit Energiekosten von ungefähr 1,3 Millionen €. Im Jahr 2018 sind wir zum ersten Mal unter einer Million angelangt. 300.000 € sind für eine Kommune wie unsere auch eine gute Argumentationsgrundlage für das EnMS vor politischen Entscheidungsgremien.

Stenzel: Diese Einsparung ist eine Hausnummer, die auch andere animieren könnte, ein systematisches Energiemanagement aufzubauen. Welche Botschaft oder welchen Tipp würden Sie außer diesem Kostenargument anderen Kommunen mit auf den Weg geben, die sich intensiv mit ihrem Energiemanagement auseinandersetzen möchten?

Vath: Energiemanagement sollte strukturiert aufgebaut und betrieben werden. Die Energiedatenerfassung ist aufwendig, aber sehr hilfreich für die fortlaufende Maßnahmenplanung. Zudem bringt die Zertifizierung Verpflichtung, aber dadurch auch Verbesserung und Weiterentwicklung.

Am 16.05.2019 besuchten Bruno Wesch und der neue BIM-Manger des Kreis Viersen, Jan van der Fels, die GUTcert in ihrer Geschäftsstelle in Berlin-Treptow. Sie berichteten über den weiteren Weg des Kreises hin zur nachhaltigen Kommune.

Die GUTcert wird, wo sie kann, den Kreis weiterhin in seinen Bemühungen unterstützen. Es ist bereits anvisiert, gemeinsam auf geeigneten Veranstaltungen über kommunales Energiemanagement zu referieren. Sobald Genaueres feststeht, informieren wir wieder zeitnah.

Ansprechpartner Kreis Viersen
Herr Niklas Vath / Bruno Wesch
Gebäudemanagement / Energiemanagementbeauftragter
+49 2162 391048
Niklas.Vath@kreis-viersen.de

Fragen zum Interview oder der Zertifizierung beantwortet Ihnen gerne:
Frau Sarah Stenzel
Projektkoordinatorin Managementsysteme
+49 30 2332021-52
sarah.stenzel@gut-cert.de

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