Megatrends und Qualitätsmanagementsysteme: von der Theorie zur Praxis
Teil 1 unseres Interviews zeigte, inwieweit der Klimawandel die Revision der ISP 9001 betrifft. In Teil 2 geht es um die Rolle der sozialen Megatrends im Qualitätsmanagementsystem.
Yulia Felker, Fachbereichsleiterin, Expertin für nachhaltige Entwicklung, Leiterin der GUTcert Akademie und erfahrene Lead-Auditorin gibt Auskunft.
GUTcert: Im ersten Teil unseres Gesprächs haben wir über den Einfluss des Klimawandels gesprochen. Welche weiteren Megatrends beeinflussen das moderne QMS?
Felker: Soziale Megatrends wie der Fachkräftemangel und die Migrationsflüsse sind zunehmend prägend für das Qualitätsmanagement (QM).
Die Norm ISO 9001 fordert, dass die notwendigen Personalressourcen zur Verfügung stehen und unterstreicht die Bedeutung kompetenter Mitarbeitender für das Erfüllen der geforderten Qualitätsstandards. Hierbei nimmt das QM eine Schlüsselrolle ein, indem es Unternehmen dabei unterstützt, Strategien zu Personalentwicklung und Integration zu entwickeln: Es liegt in der Verantwortung des QM, Risiken aufzuzeigen. Ein unzureichender Fokus auf Personalentwicklung und -integration kann dazu führen, dass Unternehmen nicht die Mitarbeitenden mit den benötigten Qualifikationen gewinnen und binden können. Diese Risiken müssen gegenüber der Geschäftsführung und dem Personalmanagement verdeutlicht werden.
GUTcert: Um welche Risiken und Strategien geht es dabei im Detail?
Felker: Der Fachkräftemangel fordert Unternehmen heraus, ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. Dazu gehört u.a. die Perspektive für die Personalentwicklung. Dies führt dazu, dass im Unternehmen bestehende Pläne für Kompetenzerwerb durch gezielte Schulungspläne ergänzt, regelmäßige Mitarbeitergespräche eingeführt und familienfreundliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Im Qualitätsmanage¬mentsystem (QMS) werden diese Prozesse systematisch erfasst, bewertet und verbessert, wodurch Personalmanagement und Mitarbeiterqualifizierung zu zentralen Elementen des QM werden.
Gleichzeitig müssen Unternehmen auf Migrationsflüsse reagieren. Menschen mit Migrationshintergrund sind derzeit essenziell, um Arbeitsmarktengpässe zu schließen. Das QM sollte deshalb sicherstellen, dass Arbeitsanweisungen, Schulungsunterlagen und relevante Dokumentationen mehrsprachig sind. Dies fördert die Integration und ermöglicht eine reibungslose Kommunikation, was entscheidend ist, um die Kompetenzanforderungen der ISO 9001 zu erfüllen.
GUTcert: Gibt es weitere übergeordneten nachhaltigkeitsrelevanten Themen, die das QM beeinflussen?
Felker: Absolut. Ein zentrales Thema ist die gesellschaftliche Forderung zumindest in Europa nach einer nachhaltigen Wertschöpfungskette. Für große Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitenden ist das Lieferkettengesetz von 2024 maßgeblich. Es verpflichtet Unternehmen dazu, Sorgfaltspflichten einzuhalten hinsichtlich der Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten, einschließlich einer Risikobeurteilung und Maßnahmen zur Vermeidung von Missständen. Auch Unternehmen, die nicht direkt vom Gesetz betroffen sind, werden durch Marktanforderungen und Auftragsbedingungen häufig dazu bewegt, sich mit nachhaltigen Lieferketten auseinanderzusetzen und entsprechende Informationen bereitzustellen.
GUTcert: Wie kann ein QMS dabei helfen?
Felker: Eine umfassende Lieferantenbewertung ist eine Kernanforderung im QM. Traditionell umfasst sie Kriterien wie Liefertreue, Qualität und Lieferzeiten. Doch heute ist mehr gefordert: Die bestehenden Prozesse und Dokumente im QM lassen sich problemlos um soziale und ökologische Aspekte erweitern. Datenbanken und regelmäßige Kontrollen sind bereits implementiert und können genutzt werden, um diese neuen Anforderungen zu integrieren. Auch wenn diese neue Aufgabe komplex ist und oft mehr Personalressourcen und vor allem eine erweiterte Kompetenz erfordert, bietet das gelebte QM eine solide Grundlage, um das Thema systematisch und effizient anzugehen.
Den ersten Teil des Interviews können Sie hier lesen. Mehr zum Thema Megatrends und Qualitätsmanage¬mentsysteme in den kommenden Newslettern.
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Bei inhaltlichen Rückfragen wenden Sie sich gerne an Lea Graf.